ALFA-FORUM Nr. 47 (2001) Kopien
Prävention von Analphabetismus Beiträge zum Schwerpunktthema
- Nickel, Sven: Prävention von Analphabetismus: vor, in, nach und neben der Schule.
- Füssenich, Iris und Löffler, Cordula: Lernprozesse von Schulanfängern/innen und ihre Bedeutung für das Lehren. Prävention von Analphabetismus in den ersten beiden Schuljahren.
- Küspert, Petra und Schneider, Wolfgang: Sprachlich-kognitives Training im Kindergarten? Pro.
- Schmid-Barkow, Ingrid: Sprachlich-kognitives Training im Kindergarten? Contra.
- Niemann, Heide: Literacy im Alltag. Lese- und Schreibgelegenheiten im sozialem Feld.
- Vorlesen ist so wichtig wie Zähne putzen. Kampagnen & Fortbildungsveranstaltungen der Stiftung Lesen.
- Schleyerbach, Tanja: Denn überall lauert die Schrift. Aktivitäten wider den Analphabetismus in der Stadtbibliothek Reutlingen.
- Yates, Daisy: Familiy Literacy. Intervention und Prävention.
- Plieninger, Martin: Elementare Lese- und Schreibförderung in der Sekundarstufe
- Schlenker-Schulte, Christa: Berufsausbildung: Fachsprache – eine zweite Chance für Schrift?!
Allgemeine Beiträge
- Rabkin, Gabriele: “Der Engel fliegt zu einem Kind...” und “Die schöne Hexe”. Zwei Veröffentlichungen zur Arbeit mit Anregungen zum freien Schreiben und Gestalten.
- Genuneit, Jürgen: “’Lesen müsste man können’ seufzte Mäusefriederike.“ Kinderbücher über Lesen und Schreiben als Prävention von Analphabetismus.
- und andere Beiträge
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser!
Prävention ist vielschichtig. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) unterscheidet seit vielen Jahren zwischen unterschiedlichen Ebenen. Beinhaltet „primäre Prävention” – auf unser Arbeitsfeld übertragen – die Gestaltung förderlicher Lebens- und Lernbedingungen für alle Menschen, meint „sekundäre Prävention” Unterstützungsangebote für Menschen, die in ihrem Lernprozess vom Scheitern bedroht sind. Interventionen bei bereits gescheiterten Lernprozessen (z.B. Alphabetisierung von Erwachsenen) machen die „tertiäre Prävention” aus. Sven Nickel umreißt das gesamte Handlungsspektrum einer Prävention von Analphabetismus. Zu den Handlungsfeldern gehören neben der Schule auch Kindergarten, Familie, Jugendeinrichtungen, Firmen und mehr. Eine wirksame Prävention könne nur durch eine Koordinierung verschiedener Maßnahmen erreicht werden: vor der Schule, in der Schule, nach der Schule und neben der Schule. Welche Kompetenzen bringen Kinder mit, wenn sie zur Schule kommen? Und was bedeutet das für die Gestaltung von Unterricht? Dies sind die Leitfragen für den ersten Bericht aus dem laufenden Forschungsprojekt „Prävention von Analphabetismus in den ersten beiden Schuljahren“, über das Iris Füssenich und Cordula Löffler berichten. Kaum etwas nimmt in der fachdidaktischen Diskussion derzeit mehr Raum ein als die Frage, ob phonologische Bewusstheit, also die Fähigkeit, Sprache in ihre einzelnen Elemente zerlegen zu können, eine Vorbedingung für den Schriftspracherwerb darstellt und wenn ja, ob und wie diese Fähigkeit bereits vor dem Schuleintritt gefördert werden kann. Petra Küspert und Wolfgang Schneider favorisieren ein spezielles Training bereits im Kindergarten, Ingrid Schmid-Barkow begründet ihre Kritik an derartigen Maßnahmen. Schriftsprachlichkeit im öffentlichen Raum: Heide Niemann beschreibt das Erleben von „Literacy” im Alltag von Kindern und Erwachsenen – von der Familie bis zur „community”. Die Stiftung Lesen stellt dazu passend ihre Kampagnen vor. Leseförderung ist eine Aufgabe von Bibliotheken. Diese können mehr Funktionen einnehmen als Buchausleihe für Menschen, die gerne lesen. Tanja Schleyerbach beschreibt Bibliotheken als Ort für Lese- und Schreiblerner/innen, aber auch als Kontaktstelle zur breiten Öffentlichkeit, in der Aufklärungsarbeit über Hintergründe des funktionalen Analphabetismus ihren Platz haben kann. Daisy Yates berichtet aus Großbritannien von einem Ansatz, der hierzulande leider noch nahezu unbekannt ist. „Family Literacy“ setzt am sozialen Teufelskreis der Lese- und Schreibunkundigkeit innerhalb der Familie an: Eltern lernen gleichzeitig mit ihren Kindern. Familienorientiertes Lernen erweise sich als wirksames Vorgehen für unterschiedliche Zielgruppen: für die, die noch nicht zur Schule gehen und für die, die nicht mehr zur Schule gehen. Nicht vergessen werden dürfen die, die immer noch und schon seit einigen Jahren zur Schule gehen. Martin Plieninger macht darauf aufmerksam, dass der Rechtschreibunterricht in der Sekundarstufe oftmals Kompetenzen voraussetzt, die die SchülerInnen in großer Anzahl nicht mitbringen. Um eine unterrichtliche Passung zu erzielen, müsse auch in höheren Klassen den elementaren Zusammenhängen wie der Phonem-Graphem-Korrespondenz stärkere Beachtung geschenkt werden. Bestehen die Schwierigkeiten mit der Schrift nach Beendigung der Schulzeit noch weiter, werden diese nicht selten zu einem existentiellen Problem. Geringe Lese- und Schreibkenntnisse erschweren den Zugang zum Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und stellen eine Hürde beim Ablegen einer Prüfung dar. Christa Schlenker-Schulte sieht den Wunsch nach einer Berufsausbildung als Motor für sprachliches Lernen an und zeigt die Möglichkeit auf, vermeidbare sprachliche Hürden in Form unverständlicher Lern- und Prüfungstexte abzubauen. In weiteren Beiträgen berichten Jürgen Genuneit über Lese- und Schreiblernentwicklungen als Thema von Kinder- und Jugendbüchern und Gabriele Rabkin beschreibt Möglichkeiten der kreativen Schreibförderung für Kinder und für erwachsene Lerner/innen. Eine anregende Lektüre wünscht Ihnen
Sven Nickel Mitglieder des Bundesverbandes Alphabetisierung und Grundbildung e.V. erhalten auf diesen Artikel 20% Rabatt.