ALFA-FORUM Nr. 75 (2010)

ALFA-FORUM Nr. 75 (2010)
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Schwerpunktthema: Lernen zwischen Freiwilligkeit und Zwang; Liebe Leserinnen und Leser, Lernen... mehr
Produktinformationen "ALFA-FORUM Nr. 75 (2010)"

Schwerpunktthema: Lernen zwischen Freiwilligkeit und Zwang; Liebe Leserinnen und Leser,
Lernen zwischen Zwang und Freiwilligkeit in der Alphabetisierung – das ist ein wichtiges, aber auch ein schwieriges Thema. Welche Formen von „Zwang“ und welche Grade von „Freiwilligkeit“ gibt es in diesem Kontext? Kann man überhaupt „gezwungen“ werden, etwas zu lernen, selbst wenn man nicht will? Oder können wir gar nicht anders, als auf äußere Zwänge zu reagieren, unser Handeln daran ausrichten und „lernen“, damit umzugehen?
Ein junger Mann kann seinen Handyvertrag nicht verstehen und hat Schulden angehäuft. Der Amtsrichter verpflichtet ihn, einen Lese- und Schreibkurs zu besuchen. Die Ehefrau, die ihrem Mann jahrelang alle Lese- und Schreibaufgaben abgenommen hat, ihn aber auch seit langem zu einem Kursbesuch drängt, kündigt die Trennung an, wenn ihr Partner sich weiterhin weigert, Lesen und Schreiben zu lernen. Eine halbtags arbeitende Mutter erfährt, dass sie für ihre Tätigkeit demnächst täglich Kurzberichte verfassen muss. Was nun: kündigen oder lernen?
Ähnliche „Fälle“ kennen Sie aus Ihrer Unterrichtspraxis. Und wer im Zuge des Ehegattennachzugs nach Deutschland kommen will, muss auch Deutsch lernen.
Welcher „Zwang“ ist berechtigt, welcher erforderlich? Kann aus „Zwang“ „freiwilliges“ Lernen erwachsen? Und wie kann sich jemand unter den jeweils gegebenen Bedingungen auf das Lernen einlassen? Die Beiträge in diesem Heft wollen auf einige dieser Fragen Antworten geben.
Monika KASTNER verweist darauf, dass in den Erstgesprächen mit potenziellen Teilnehmenden – selbst wenn diese eine Aufforderung zur Kursteilnahme erhalten haben – von den Kursleitenden die freiwillige Entscheidung zum Kursbesuch betont wird: „Sie müssen nichts machen, was jemand anderer sagt“. Sie „unterstützen beim Entdecken und Formulieren des jeweiligen Lernsinns durch dialogisch angelegte Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse.“
Achim SCHOLZ weist in der Auswertung zahlreicher Interviews mit Lernenden nach, wie sich ein zunächst erfahrener Zwang zum Lernen in eine Lust am Lernen verändert. Marion DÖBERT schildert das Leben von funktionalen Analphabeten als „Geschichte von externen Zwängen“. Die Entscheidung zum Kursbesuch erfolge geradezu in einer „hoch verdichteten Zwangssituation“, und das freiwillige Lernen setze erst ein, wenn der Lerner Bildung als Chance auf ein „stärker selbstbestimmtes Leben erweitert.“
Axel BACKHAUS weist darauf hin, dass Schule und andere institutionalisierte Formen des Lernens schon immer eher fremdbestimmt sind. Aber gerade wenn die Entscheidung für die Teilnahme an einem Alphabetisierungskurs häufig auf äußeren Zwängen basiert, müssten innerhalb des Lernprozesses die Bedürfnisse von Kompetenzerfahrung, Eingebundenheit und Autonomie befriedigt werden und so Freiwilligkeit und intrinsische Motivation erzeugen. Timm HELTEN unterstreicht die hohe Bedeutung intrinsischer Motivation und stellt dar, wie die Kampagne von iCHANCE darauf setzt, Menschen mit Grundbildungsbedarf den hohen persönlichen Nutzwert beim Lesen- und Schreibenlernen erfahrbar zu machen. Eine Übersicht über die freiwillige oder verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen hat Mirjam WILLIGE zusammengestellt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.
Lernen zwuischen Freiwilligkeit und Zwang Liebe Leserinnen und Leser,
Lernen zwischen Zwang und Freiwilligkeit in der Alphabetisierung – das ist ein wichtiges, aber auch ein schwieriges Thema. Welche Formen von „Zwang“ und welche Grade von „Freiwilligkeit“ gibt es in diesem Kontext? Kann man überhaupt „gezwungen“ werden, etwas zu lernen, selbst wenn man nicht will? Oder können wir gar nicht anders, als auf äußere Zwänge zu reagieren, unser Handeln daran ausrichten und „lernen“, damit umzugehen?
Ein junger Mann kann seinen Handyvertrag nicht verstehen und hat Schulden angehäuft. Der Amtsrichter verpflichtet ihn, einen Lese- und Schreibkurs zu besuchen. Die Ehefrau, die ihrem Mann jahrelang alle Lese- und Schreibaufgaben abgenommen hat, ihn aber auch seit langem zu einem Kursbesuch drängt, kündigt die Trennung an, wenn ihr Partner sich weiterhin weigert, Lesen und Schreiben zu lernen. Eine halbtags arbeitende Mutter erfährt, dass sie für ihre Tätigkeit demnächst täglich Kurzberichte verfassen muss. Was nun: kündigen oder lernen?
Ähnliche „Fälle“ kennen Sie aus Ihrer Unterrichtspraxis. Und wer im Zuge des Ehegattennachzugs nach Deutschland kommen will, muss auch Deutsch lernen.
Welcher „Zwang“ ist berechtigt, welcher erforderlich? Kann aus „Zwang“ „freiwilliges“ Lernen erwachsen? Und wie kann sich jemand unter den jeweils gegebenen Bedingungen auf das Lernen einlassen? Die Beiträge in diesem Heft wollen auf einige dieser Fragen Antworten geben.
Monika KASTNER verweist darauf, dass in den Erstgesprächen mit potenziellen Teilnehmenden – selbst wenn diese eine Aufforderung zur Kursteilnahme erhalten haben – von den Kursleitenden die freiwillige Entscheidung zum Kursbesuch betont wird: „Sie müssen nichts machen, was jemand anderer sagt“. Sie „unterstützen beim Entdecken und Formulieren des jeweiligen Lernsinns durch dialogisch angelegte Abstimmungs- und Aushandlungsprozesse.“
Achim SCHOLZ weist in der Auswertung zahlreicher Interviews mit Lernenden nach, wie sich ein zunächst erfahrener Zwang zum Lernen in eine Lust am Lernen verändert. Marion DÖBERT schildert das Leben von funktionalen Analphabeten als „Geschichte von externen Zwängen“. Die Entscheidung zum Kursbesuch erfolge geradezu in einer „hoch verdichteten Zwangssituation“, und das freiwillige Lernen setze erst ein, wenn der Lerner Bildung als Chance auf ein „stärker selbstbestimmtes Leben erweitert.“
Axel BACKHAUS weist darauf hin, dass Schule und andere institutionalisierte Formen des Lernens schon immer eher fremdbestimmt sind. Aber gerade wenn die Entscheidung für die Teilnahme an einem Alphabetisierungskurs häufig auf äußeren Zwängen basiert, müssten innerhalb des Lernprozesses die Bedürfnisse von Kompetenzerfahrung, Eingebundenheit und Autonomie befriedigt werden und so Freiwilligkeit und intrinsische Motivation erzeugen. Timm HELTEN unterstreicht die hohe Bedeutung intrinsischer Motivation und stellt dar, wie die Kampagne von iCHANCE darauf setzt, Menschen mit Grundbildungsbedarf den hohen persönlichen Nutzwert beim Lesen- und Schreibenlernen erfahrbar zu machen. Eine Übersicht über die freiwillige oder verpflichtende Teilnahme an Integrationskursen hat Mirjam WILLIGE zusammengestellt.
Ich wünsche Ihnen eine anregende Lektüre.

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