ALFA-FORUM Nr. 84 (2013)
Schwerpunktthema: Teilhabe
Liebe Leserinnen undLeser,
in Zeiten, in denen sich die Schere zwischen Armen und Reichen immer weiter öffnet, ist der Begriff der „Teilhabe“ zunehmend in die öffentliche und fachliche Diskussion gekommen. Gleichgültig, ob es um Arbeitsplätze, politische Mitsprache, Gendergerechtigkeit, Konsum oder Bildungschancen geht, werden Teilhabemöglichkeiten eingefordert oder fehlende Teilhabeoptionen kritisiert.
Das Bildungssystem nimmt in der Diskussion um Teilhabe eine besondere Stellung ein. Denn Bildung wird als die entscheidende Voraussetzung für die Teilhabe an mehreren anderen Systemen angesehen. Unzureichende Bildung versperrt dagegen in der Regel den Zugang zu einträglichen Arbeitsplätzen, Aufstiegschancen, gutem Einkommen und somit letztlich auch die Chance auf Teilhabe in der Gesellschaft und im Berufsleben.
Als besonders bedroht von der Abkopplung von wichtigen gesellschaftlichen Systemen gelten Menschen mit geringen Kenntnissen des Lesens und Schreibens. „Die Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, ist das Fundament für Bildung und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“, erklärte die ehemalige Bundesbildungsministerin Schavan und bezeichnete die Prävention und Bekämpfung des Analphabetismus als eine der wichtigsten Gemeinschaftsaufgaben. Die moderne Gesellschaft muss bereit sein, die Voraussetzungen zu schaffen, um Teilhabe zu ermöglichen. Der brasilianische Pädagoge Paulo Freire fragte einmal „Was unterscheidet einen brasilianischen Bauern, der nie lesen und schreiben gelernt hat und unterdrückt wird, von einem brasilianischen Bauern, der nachträglich lesen und schreiben gelernt hat und trotzdem unterdrückt wird?“ Lesen und Schreiben hilft nicht weiter, wenn damit nicht gleichzeitig eine Verbesserung der Lebenssituation verbunden ist!
Den Fragen um ihre Teilhabechancen und Teilhabebarrieren widmet sich die aktuelle Ausgabe des ALFa-FORUM.
In einem grundlegenden Beitrag beschäftigt sich Ulrich STEUTEN zuerst mit dem verbreiteten Klischee, demzufolge funktionale Analphabeten von entscheidenden Teilhabebereichen abgekoppelt seien. Anhand empirischer Daten und Überlegungen zum Verständnis von „Literalität“ zeichnet er ein anderes Bild von den vermeintlich „Exkludierten“.
Marion DÖBERT kritisiert in ihrem Beitrag die nach wie vor ungerechten Zugangschancen zur Teilhabe an Bildung. In Anlehnung an Mark Zuckerbergs Strategie umfassender Netzwerkbildung und Investitionen fordert sie eben solche Anstrengungen und Verantwortung von Pädagogik und Bildungspolitik ein.
Der Teilhabeförderung einer speziellen Zielgruppe wenden sich Britta MARSCHKE, Özcan KALCAN und Kerstin SISCHKA zu. Sie beschreiben wie in ihrem Projekt „ABCami“ in Zusammenarbeit mit drei Berliner Moscheen muslimische Frauen anhand des Situationsansatzes alphabetisiert werden.
Achim SCHOLZ geht in seinem Beitrag „Selbsthilfestrukturen erhöhen Teilhabechancen“ auf die Rolle der Selbsthilfegruppen in der Alphabetisierungsbewegung ein und leitet daraus die Forderung nach einem besseren Dialog zwischen den Betroffenen und der Politik ab.
Gabriele RASCHKE berichtet in ihrem Beitrag „Erkenne dich selbst und verkaufe dich gut“ wie Arbeitslose für ihre Bewerbung „schlau“ gemacht werden. In mehreren Schritten führt sie die Teilnehmenden dazu, ihre eigenen Qualitäten zu erkennen und positiv darzustellen.
In ihrem Beitrag „Gemeinsam füreinander: Lerner-Experten im Alpha-Bündnis Berlin-Neukölln“ heben die Autorinnen Diana STUCKATZ, Claire PATURLE- ZYNGA und Urda THIESSEN die Bedeutung der Lerner-Beteiligung im Alpha-Bündnis hervor und fordern eine kontinuierliche Teilhabe und Verankerung der Lerner-Experten in der Bündnisarbeit.
(U. Steuten und V. Yasaner)